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Nachrichten aus der Pflege | 25. Oktober 2016

Zukunft der Altenpflege

In einer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung vergleicht Cornelia Heintze die staatlichen Altenpflegesysteme skandinavischer Länder mit der Lage in Deutschland. Dieser Blick über den Tellerrand kann neue Ideen in deutsche pflegepolitische Debatten bringen. Altenpflegerische Auswanderungsgelüste könnten auch angeregt werden. Eine Rezension.

In dieser aktualisierten Auflage der Broschüre: Auf der Highroad - der skandinavische Weg zu einem zeitgemäßen Pflegesystem. Ein Vergleich zwischen fünf nordischen Ländern und Deutschland wird die Altenpflege in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden mit dem System in Deutschland verglichen. Dabei treffen zwei völlig unterschiedliche Konzepte aufeinander: einmal das familienbasierte System in Deutschland und das servicebasierte System in Skandinavien.
Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 in Deutschland wurde eine Teilkaskoversicherung für die Finanzierung Pflege geschaffen. Die Pflegeversicherung deckt einen Teil der pflegerischen Kosten ab, den Rest übernimmt die Familie oder der Staat. Die Betonung des deutschen Systems liegt darauf, die Kosten für die Erbringung der Leistungen zu verringern. Dies gelingt einerseits durch die vorrangige Pflege durch Familienmitglieder und die starke Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse bei den Pflegekräften. Familiäre Pflegearbeit wird zum großen Teil von Frauen geleistet, die dafür nicht selten die eigene Berufstätigkeit aufgeben.
Diese Organisation der Pflege hat weitreichende Folgen. Dr. Cornelia Heintze zeigt in ihrer Arbeit einen Zusammenhang zwischen dem Pflegesystem (Care-System) und der Geburtenrate auf. Im servicebasierten Care-System (z. B. Dänemark, Norwegen, Finnland) ist statistisch die Geburtenrate höher, als im familienbasierten Care-System (z. B. Großbritannien, Deutschland, Österreich, Portugal). So lag durchschnittlich die Geburtenrate in der zurückliegenden Dekade (2001 bis 2011) bei über 1,8 in den nordischen Ländern, gegenüber 1,36 in Deutschland. Im Jahr 2015 erreichte die Geburtenrate in Deutschland 1,50 Kinder je Frau. Die Anzahl der für die Pflege der Angehörigen verfügbaren Töchter, Schwiegertöchter, Enkeltöchter und Ehefrauen wird zukünftig sinken.
Ein weiterer interessanter Zusammenhang wird im Text aufgezeigt. Die Lebenserwartung der Menschen steigt seit vielen Jahren. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Durch das höhere Lebensalter steigt auch die Gefahr an chronischen Leiden zu erkranken. Diesem Risiko kann in gewisser Weise durch eine frühzeitige Krankheitsprävention entgegengewirkt werden. Wird diese vernachlässigt sinkt zwar nicht die Lebenserwartung, aber es sinkt die Anzahl der gesunden Jahre und damit die Lebensqualität. Sind Angehörige durch die Pflege überfordert, erhöht sich das Risiko zu erkranken.
2012 konnten Frauen in Deutschland im Alter von 65 Jahren noch auf eine bevorstehende Lebensspanne von 21,2 Jahren blicken, bei Männern waren es 18,2 Jahre. Die nordischen Länder lagen, was die durchschnittliche Lebenserwartung anbetraf, etwa gleichauf. Bei der Anzahl der gesunden Jahre zeigt sich jedoch ein eklatanter Unterschied: Während 2012 deutschen Frauen im Alter von 65 Jahren noch durchschnittlich 6,9 gesunde Jahre bevorstanden, waren es bei norwegischen Frauen 15,9 und bei schwedischen Frauen 15,4 Jahre. Die Zeitspanne in denen in Deutschland ältere Menschen chronisch krank und pflegebedürftig sind, dehnt sich aus. Das wirkt sich nicht nur auf Pflege der betreffenden Personen aus, sondern auch auf die Kosten für das Gesundheitssystem.
In vielen nordischen Ländern ist die Pflege nicht nur stärker professionalisiert, der Zugang zu den Leistungen ist oftmals auch niedrigschwelliger, als dies in Deutschland der Fall ist. Die finanzielle Ausstattung übersteigt im servicebasierten Pflegesystem deutlich das in Deutschland übliche Niveau. 2013 wurden in Deutschland weniger als 0,8 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in die Finanzierung der Pflege gesteckt, im Vergleich zu 1,8 bis nahe 4 % in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden oder 0,8 bis unter 1,6 % des BIP in Irland, Großbritannien, Neuseeland und Australien.
Anders als in Deutschland stehen in skandinavischen Ländern eine breite Palette an Hilfeleistungen zur Verfügung wie beispielsweise Hilfe beim Fensterputzen zur Vorbeugung von Unfällen. Darüber hinaus wird in Dänemark jedem Einwohner/jeder Einwohnerin über 75 Jahren zweimal jährlich ein Hausbesuch angeboten, damit niemand vergessen wird. Die Mehrzahl der skandinavischen Leistungsempfänger/innen würde im deutschen System weder Pflegestufe 1 noch 0 erhalten. In Dänemark beispielsweise beanspruchen fast 2/3 der Senior/innen weniger als zwei Stunden Hilfe pro Woche.

Die Expertise Auf der Highroad - der skandinavische Weg zu einem zeitgemäßen Pflegesystem von Dr. Cornelia Heintze ist eine sehr lesenswerte, hochinteressante Arbeit. Die Autorin beleuchtet die Situation der Pflege von vielen verschiedenen Seiten und zeigt Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Systeme auf. Der Text liefert gute Argumente, die für eine Änderung des weitestgehend auf die familiäre Leistungserbringung basierenden deutschen Prinzips sprechen.

Urte Paaßen


Cornelia Heintze: Auf der Highroad - der skandinavische Weg zu einem zeitgemäßen Pflegesystem. Ein Vergleich zwischen fünf nordischen Ländern und Deutschland pdf Logo, Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, April 2015.
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Letzte Aktualisierung: 20.01.2018